Schaffen wir den Neuanfang im Ehrenamt?
Ehrenamt bei der AWO: Wie alles begann
Heute ist der Internationale Tag des Ehrenamtes. Das Ehrenamt ist eine der Wurzeln der AWO. Vor über 100 Jahren ist die AWO gestartet mit Ehrenamtlichen, die Menschen in Not helfen wollten. Die vielen ehrenamtlichen Hilfsangebote haben sich im Laufe der Zeit professionalisiert. Das hatte zur Folge, dass das Hauptamt nach und nach die ehrenamtlichen Aufgaben übernommen hat.
Heute hat das Ehrenamt bei der AWO zwei Säulen: Zum einen die Menschen, die die Ortsvereine führen und vor Ort Seniorentreffs, Hausaufgabenbetreuungen oder andere lokale Unterstützungen für die Menschen anbieten. Sie betreuen auch die AWO-Mitglieder und halten die ursprüngliche Struktur der AWO am Leben. Zum anderen die freiwillig Engagierten, die in die Einrichtungen kommen und die hauptamtlichen Mitarbeitenden unterstützen. Dabei meinen ist nicht gemeint, dass die Ehrenamtlichen Aufgaben unserer Mitarbeitenden übernehmen. Sie ergänzen deren Arbeit und bereichern das Leben der Menschen, die wir betreuen.
Einbruch durch die Krise
Beide Bereiche erleben aktuell eine schwierige Phase. Aber besonders das Ehrenamt in den Einrichtungen ist durch die Corona-Krise zum Einbruch gekommen. Besuchsverbot, Test- und Maskenpflicht sind hier die Stichwörter - verbunden mit dem Durchschnittsalter der Ehrenamtlichen, die oft selbst zur Risikogruppe gehören. Auch der Personalmangel spielt eine Rolle: Das Ehrenamt braucht Betreuung und Ehrenamtskoordinatoren sind aufgrund der anspannten Situation rar geworden.
Gespräch mit einem langjährig Engagierten
Wir haben über die Situation des Ehrenamtes mit Steffen Kuhlmann aus Kitzingen gesprochen. Er war bis 2004 über 30 Jahre Einrichtungsleiter des Wilhelm-Hoegner-Hauses und ist der Einrichtung als Ehrenamtlicher seitdem erhalten geblieben. Über die Jahre hat er ehrenamtlich das Haus darin unterstützt, für die Senioren und Menschen mit psychischen Krankheiten ein abwechslungsreiches Leben zu organisieren: Veranstaltungen, Ausflüge, Hilfe bei der Organisation, das regelmäßige Treffen der Rentner des Wilhelm-Hoegner-Hauses. Aktuell ist er auch in Würzburg im Sozialzentrum tätig und außerhalb der AWO betreut er durch das Gericht ehrenamtlich zwei Personen. Er ist eine Konstante im Ehrenamt in Kitzingen, ein Vorbild und ein Zugpferd für andere freiwillig Engagierte. Mit ihm haben wir über die aktuelle Situation im Ehrenamt gesprochen.
Steffen Kuhlmann - über die aktuelle Situation im Ehrenamt
Herr Kuhlmann, wie sehen Sie die Situation des Ehrenamts aktuell, vor allem des Ehrenamts in den Einrichtungen?
Mit Corona sind die ehrenamtlichen Strukturen in sozialen Einrichtungen eingebrochen. Die Situation war eh schwierig, aber das Besuchsverbot hat alles, was die Einrichtungen aufgebaut haben, auseinandergerissen. Man merkt auch das Stadt-Land-Gefälle. Auf dem Land ist der Einbruch viel größer als in der Stadt.
Wieso ist das so?
Ich denke, dass der Zusammenhalt auf dem Land insgesamt größer ist. Die älteren Menschen werden überwiegend zu Hause gepflegt und wenn sie ins Heim kommen, werden sie oft besucht. Der Familienzusammenhalt ist in ländlichen Regionen stärker. Umso schöner, dass sich in den Städten Ehrenamtliche finden, die den Wegfall dieser familiären Strukturen ein wenig auffangen.
Was sind die typischen Tätigkeiten von Ehrenamtlichen in sozialen Einrichtungen?
Ganz unterschiedlich: Oft kommt man eine Seniorin oder einen Senioren besuchen, der keine Angehörigen hat oder dessen Angehörige weit weg wohnen. Da geht man mit ihm spazieren oder liest ihm was vor oder hört einfach zu. Gut war die Aktion Eine Stunde Zeit. Da wussten die Ehrenamtlichen: Ich komme einmal die Woche für eine Stunde und das ist ein Zeitinvest, den ich stemmen kann. Andere unterstützen bei Ausflügen oder Veranstaltungen, in Kindergärten sind es oft Vorlesestunden. Es gibt für jeden Interessenbereich eine ehrenamtliche Tätigkeit, die man machen kann.
Wieso kommen die Ehrenamtlichen nicht zurück in die Einrichtungen?
Ich denke es gibt mehrere Gründe dafür: Zum einen müssen sich Besucher*innen immer noch testen. Das schreckt viele ab, vor allem die älteren wie ich. Wir müssen erst einmal ins Krankenhaus oder zur Teststrecke und das braucht Zeit und es ist anstrengend. Manche haben kein Auto. Andere haben während der Pandemie entdeckt, wie bequem es doch ist, die eigene Rentenzeit einfach nur zu genießen. Ich denke viele hatten sich vorher schon mit dem Gedanken getrieben, die schon lange ehrenamtlich aktiv sind, aber den Absprung nicht gefunden.
Wie kann man im Ehrenamt einen Neuanfang schaffen?
Es wird schwierig sein. Die Menschen scheuen langfristige Bindungen. Ich bin eine Ausnahme. Ich habe das Haus über 30 Jahre lang geführt, fühle mich verbunden. Diese Bindungen muss man suchen: Eltern und Großeltern von Kindern, Angehörige von Senioren, Familienangehörige von Mitarbeitern. Wir brauchen Menschen, die einen Bezug zur Einrichtung haben. Auch die Angebote müssen kurzfristig sein und auch so benannt werden, damit die Menschen gleich verstehen: Ich muss hier nicht die nächsten 10 Jahre jede Woche 5 Stunden investieren. Obwohl das für ältere Menschen natürlich das Beste ist, eine Kontinuität zu haben.
Es braucht auch wieder eine Betreuung der Ehrenamtlichen und Anerkennung. Das ist von Seiten des Hauptamtes schwierig geworden. Früher gab es in vielen Senioreneinrichtungen Freiwilligenkoordinatoren. Beim heutigen Personalmangel kann sich das kaum ein Haus mehr leisten.
Wie lange bleiben Sie der AWO und dem Wilhelm-Hoegner-Haus in Kitzingen erhalten?
Gottseidank bin ich gesund und mobil. Solange es so bleibt, tue ich was ich kann und versuche auch für das Ehrenamt zu werben. Die AWO hat ihre Wurzeln im Ehrenamt und wir müssen uns bemühen, dieses wieder zu beleben.